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Nüchternes Erwachen

Was haben wir nicht geglaubt, wer wir alles sind

Überlegen und arrogant haben wir uns die Welt zu Eigen gemacht ohne ausreichend an die möglichen Konsequenzen unseres profitorientierten, egoistischen Handelns zu denken:

  • Wir haben uns vieles einverleibt was nicht uns gehört.
  • Wir haben mit einer Selbstverständlichkeit Besitzansprüche am Gesamterbe der Menschheit geltend gemacht und dieses in unserer Kurzsichtigkeit tagtäglich bis an den Rand der Verträglichkeit beschädigt.
  • Wir sind verantwortlich, auch wenn wir nicht die unmittelbaren Drahtzieher zwielichtiger Geschäfte auf Kosten anderer sind.
  • Unsere Art zu leben und zu konsumieren hat gravierende Folgen: Raubbau der Bodenschätze inklusive Enteignung indigener Völker, Luft-, Wasser- und Ozeanverschmutzung, kriegerische und humanitäre Ausnahmezustände, zweifelhafter Börsenhandel, Spekulationsgewinne auf Kosten der Ärmsten, Regenwaldrodungen, erbarmungslose Ausbeutung und Verseuchung von Ackerflächen, Massentierhaltung, endlose Bodenversiegelung und vieles mehr.

Die Folgen vor denen uns Wissenschaftler schon vor mehr als 30 Jahren gewarnt hatten sind nun real bei uns angekommen. Die Auswirkungen des Klimawandels zeigen sich verstärkt: Temperaturextreme, Dürreperioden, zunehmendes Abschmelzen von Gletschern und Permafrostböden, Überschwemmungen, Tsunamis, Wirbelstürme und so fort. Ein besorgniserregendes Artensterben und ein verringerter Lebensraum sorgen auch in der Tierwelt für Ungleichgewichte. Katastrophenmeldungen sind an der Tagesordnung.

In unserem Dauerlauf nach immer mehr Macht, Einfluss, Besitz, Spaß, Ablenkung oder Konsum in jeder nur erdenklichen Form haben wir einfach auf so vieles vergessen.

 

Keine noch so drastischen, kritischen, aufrüttelnden Berichte der Medien konnten dieses Rennen, in das die westliche Welt geraten war, noch aufhalten. Wir waren bereits zu blind, ignorant und unsensibel geworden. Wenn eine große Masse einmal angefangen hat in die falsche Richtung zu laufen, wer oder was könnte sie dann noch aufhalten?

Und plötzlich war alles anders

Ein unbekanntes Virus namens SARS-CoV-2 hat tatsächlich das zustande gebracht, was wir nicht leisten konnten. Die plötzliche Anwesenheit von Angst und Tod durch COVID-19 hat uns unsere Verletzlichkeit aufgezeigt. Es hat uns geradezu hingestoßen auf die Endlichkeit menschlichen Daseins. Das Virus hat uns die Vergänglichkeit und das Sterben direkt ins Wohnzimmer gespielt.

Vieles was davor unmöglich schien, wurde auf einmal innerhalb kürzester Zeit realisiert. Ein Tabu hat sich explosionsartig aus seiner Versenkung katapultiert. Ganze Nationen mussten plötzlich Innehalten und Umdenken. Ein kleines Virus hat unsere tiefgreifende Verwundbarkeit mit einem Schlag sichtbar gemacht. Dagegen sind selbst die größte Überheblichkeit, Ignoranz oder Arroganz machtlos.

Mit Angst, Ohnmacht oder Hilflosigkeit kennen sich viele Menschen aber nicht gut aus. Wir, die doch glaubten alles im Griff zu haben. Wir, die doch hofften alles kontrollieren zu können. Wir, die doch dachten alles kaufen zu können. Wir, die doch überzeugt waren alles selbst regeln zu können. Wir, die so gelebt hatten als würde es immer so weitergehen.

In den letzten Jahrzehnten haben wir leider zu wenig Umsicht, Einfühlungsvermögen, Rücksicht oder Demut geübt. Die Menschheit hat sich zwar technisch enorm weiterentwickelt, aber in Ermangelung ausreichender Rückschau bzw. weiser Voraussicht ist unterwegs ganz schön viel Essenzielles verloren gegangen. Das Schlimme daran ist: Wir haben diesen Verlust gar nicht mehr bewusst wahrgenommen. Deshalb konnten wir auch nicht rechtzeitig darauf reagieren. Was es nicht gibt das macht auch keine Probleme. Die klassische Verdrängung hat schon zu lange zu gut funktioniert. Den Rest redet man sich dann noch schön oder blendet ihn einfach aus. Nach dem Motto: „ The show must go on!“ haben wir frisch drauf los gelebt ohne groß nach links oder rechts zu blicken. Wir sind auf Bergen von jeglichem Müll spazieren gegangen oder haben ihn heimlich, still und leise unter uns begraben. Der Wunsch nach Normalität war wohl zu groß. Wie weit das Fass bereits übergelaufen war, wollte wohl niemand so genau wissen. Die Strategie: „Hinausschieben so lange es nur geht“ hat ja über lange Zeit sehr gut funktioniert.

Umso schmerzvoller und ernüchternder ist nun das Erwachen. Der Albtraum in dem wir uns jetzt weltweit wiederfinden, war aber auch vor Corona schon da. Wir haben ihn nur leider im Trubel der Beschäftigung und dem Wust an Unbedeutsamkeit übersehen. Ein unsichtbares Etwas zwingt die Menschheit nun doch zu Stillstand und Innehalten.

 

Wie lange hätte es ohne Corona noch so weitergehen können? Hätte es ohne dieses Virus auch ein so gründliches Nachdenken in vielen Bereichen des Lebens gegeben? 

Zukunft ungewiss

Scheinbar bewegen wir Menschen uns nur dann in eine andere Richtung, wenn es uns an den Kragen geht. Weil wir aber insgesamt mit allem reichlich spät dran sind, sind die Auswirkungen katastrophal. Niemand kann im Moment einschätzen, wie es weitergehen wird. Wir haben Top-Experten, bestens ausgebildete Wissenschaftler, einen hohen Standard an Technik und stehen trotzdem ziemlich ratlos da angesichts der ernüchternden Tatsachen. Wir stehen nicht nur still was unsere gewohnten Aktivitäten betrifft, die meisten von uns sind auch ziemlich sprachlos wenn es um brauchbare Zukunftsprognosen geht. Man fragt sich zwar: „Wie wird es weitergehen?“, doch von gesicherten Vorhersagen sind wir weit entfernt. Die Kreativität in Zeiten wie diesen ist zwar enorm hoch, sie hilft aber auch nur dabei, kurzfristig loszulassen, um den Moment nicht als so bedrückend zu erleben.

Die Medien reden von einer Krise. Ist uns aber wirklich bewusst, dass wir alle weltweit mittendrin stecken? Ist uns bewusst, dass es noch keine wirklich genialen Strategien für die Zukunft gibt? Wenn wir nur daran anschließen wie es vorher war, wird es über kurz oder lang auch wieder ganz genauso werden. Dann hat es uns halt nur viel Geld und viele Menschenleben gekostet. Geht es aber nicht jetzt umso mehr darum, sich wirklich ernsthaft Gedanken zu machen, wie es auch anders als bisher weitergehen könnte? Sollten wir nicht gerade jetzt mehr als gut überlegen, wie es besser als bisher weitergehen könnte? Wir müssten alle miteinander flexibel und mutig genug sein, völlig neue Wege einzuschlagen. Unser Ziel sollte sein, das Leben derart umzugestalten, damit das Wohl aller Menschen und auch jenes des Planeten gesichert wäre. Sind wir als Menschheit überhaupt schon so weit, eine Kehrtwendung hin zum Wichtigen, Richtigen und Besseren zu machen?

Ich muss ehrlich gestehen – ich bin mir nicht sicher. Reden über etwas oder es tatsächlich in die Tat umsetzen, sind zwei Paar Schuhe. Ich kann nur hoffen, dass nach dieser Krise mehr übrigbleibt als der Wunsch, so rasch wie möglich in den „Normalzustand“ zurückzukehren. Ich kann nur hoffen, dass sich die Menschheit endlich darauf besinnt, was langfristig wirklich wichtig, wertvoll und richtig ist. Ich kann nur hoffen, dass nicht wieder nur persönlicher Vorteil, Profitgier, kurzsichtige Einflussnahme, Konkurrenzkampf, Machtstreben, naive Ablenkung, rücksichtsloses Konsumieren oder allgemeine Belustigung das Leben regieren.

Corona hat etwas geschafft, das viele Einzel-Initiativen, kritische Berichterstattungen, Experten-Warnungen etc. davor nicht geschafft haben: Es hat bei vielen einen Schnitt ausgelöst bis tief unter die Haut. Ein „Shutdown“ hat uns gezwungen endlich einmal inne zu halten. Der gewohnte Tagesablauf sowie der ungezwungene Umgang miteinander wurden jäh unterbrochen. Persönliche Freiheitsrechte wurden eingeschränkt, Geschäfte sowie Grenzen geschlossen. Viele stehen nun vor einem Berg an Sorgen und Ungewissheit, die ökonomische und persönliche Zukunft betreffend. Familien aber auch Beziehungen sind oft bis an ihre Belastungsgrenzen gefordert. Die einen sitzen zwangsläufig zu Hause und andere wissen nicht, wie der Arbeitsaufwand im Ausnahmezustand noch zu bewältigen ist. Das Internet explodiert förmlich an einer Unzahl von Initiativen. Vielerorts wird bereits fieberhaft nach neuen Wegen gesucht, die eigene Existenz aufrechtzuerhalten.

Ob und wie wir dieses zum Teil verordnete Stillstehen nutzen, liegt an uns selbst. Wir könnten beispielsweise einmal mehr in und um uns blicken. Vergangenes kritisch reflektieren mit der Absicht daraus zu lernen. Daraus könnten sich brauchbare Lösungen entwickeln. Wir könnten wieder lernen mehr miteinander und füreinander zu arbeiten.

 

Es wird ein „Danach“ geben irgendwann in naher Zukunft. Wie es sein wird gestalten wir alle mit, durch die Prioritäten die wir setzen. Unsere Einstellungen sind nicht einzementiert. Sie können von uns allen verändert werden, wenn die Umstände dies erfordern. 

Neue Wege beschreiten

In naher Zukunft kommt es noch mehr als bisher auf unser bewusstes Denken und Handeln an. Ich hoffe es wird einen neuen, positiven Aufwind und starken Aufschwung geben. Ein Neustart im wahrsten Sinne des Wortes würde uns allen nach dieser Phase der abrupten Abbremsung mehr als gut tun. Ich hoffe, dass ganz viele Menschen den Mut haben, etwas Grundlegendes im Leben zu erkennen. Dafür brauchen wir einiges:

  • Wir brauchen Klarheit, um uns von all dem trennen zu können, was überflüssig geworden ist.
  • Wir brauchen Einsicht und Umsicht, um ein sicheres, friedvolles, gesundes Leben führen zu können, innerhalb unserer persönlichen Grenzen.
  • Wir brauchen Wertschätzung und Rücksicht, um auch sozial, gesellschaftlich und völkerübergreifend gut miteinander auszukommen.
  • Wir brauchen kritische Reflexion und Weitblick, um nachhaltig leben und ökonomisch auch noch in der Zukunft überleben zu können.
  • Wir brauchen Verzicht und Geduld, um bereits entstandene Schäden wieder reparieren zu können.
  • Wir brauchen Einsichten und Aussichten, um weiterlernen und uns entwickeln zu können.
  • Wir brauchen Selbstbewusstsein und Kreativität, um innovative Ansätze und brauchbare Strategien für ein menschenwürdiges, tierwürdiges, ökologisch im Gleichgewicht bleibendes, lebenswertes Leben entwickeln zu können.
  • Wir brauchen weise, verantwortungsbewusste EntscheidungsträgerInnen, die sich der Konsequenzen ihres Einflusses bewusst sind und primär im Sinne der gemeinsamen Sache und des größeren Ganzen handeln.
  • Wir brauchen ein unbändiges Bemühen für die gute Sache und viel Demut gegenüber der einzigartigen Schöpfung, um zukünftig die richtigen Schritte gehen zu können.
  • Wir brauchen ein tragfähiges Wirtschafts- und Sozialsystem, das niemanden ausschließt oder zurücklässt.
  • Wir brauchen Verteilungsgerechtigkeit, bei aller Ungleichheit die es unter den Menschen und auf dem Planeten gibt.
  • Wir brauchen mehr als kluge Köpfe, die uns helfen Perspektiven zu entwickeln, die lebbar und leistbar sind.
  • Wir brauchen den Glauben in uns selbst noch viel mehr schaffen zu können, als wir ursprünglich dachten.
  • Wir brauchen Visionen und Hoffnungen die uns tragen, auch über schwierige, herausfordernde oder gar magere Zeiten hinweg.
  • Wir brauchen einen ungeschönten Realitätsbezug, der uns im überzeugten Gehen der notwendigen Schritte begleitet, um in der aktuellen Situation angemessen handeln zu können.
  • Wir brauchen Konsequenz, Durchhaltevermögen und Beharrlichkeit, die uns durch den Tag führen.
  • Wir brauchen einen Sinn der uns motiviert und antreibt weiterzumachen, bis wir am Ziel angekommen sind.
  • Wir brauchen den Glauben in und an uns selbst und die Zuversicht, etwas gemeinsam schaffen zu können, wozu der Einzelne gar nicht in der Lage ist.

Wir brauchen einen Neubeginn, der unserer aller würdig ist.

Das so schnell dahingesagte: „Wir werden es schaffen!“ ist zu wenig. Wir brauchen dringend eine Vorstellung darüber wie es gehen könnte und auch ganz klar festgelegte Einzelschritte, die es gilt einen nach dem anderen ins Leben zu bringen. Jede und jeder von uns braucht die innere Gewissheit, dass es etwas bringt was man tut und dass jeder einzelne Beitrag wichtig und wertvoll ist. Dann erst werden wir konsequent und stark in eine bessere Zukunft voranschreiten können.

Wir stehen vor einer der größten Herausforderungen auf allen Ebenen menschlichen Daseins. Alleine kann das niemand mehr stemmen. Vielleicht wird jetzt endlich einmal Globalisierung im wahrsten Sinne des Wortes gelebt als weltweite Verflechtung in vielen Bereichen, und zwar zwischen Individuen, Gesellschaften, Institutionen und Staaten.

Es wäre ein großer Schritt für die Menschheit, wenn sie sich rechtzeitig besinnen könnte. Die Frage ist nur: „Was müsste heute, morgen und übermorgen getan werden, damit das Überleben der Spezies Mensch auch noch weiterhin über viele Generationen gesichert werden könnte?“

 

Wenn uns die Dringlichkeit dessen bewusst wird, was wir unter Einsatz all der weltweit vorhandenen Potenziale zu leisten imstande sind, dann schaffen wir es auch.

 

Lea Anders, 4. April 2020